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95 Thesen im Lutherjahr 2017

Wider die Herrschaft der Finanzmärkte

Zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur fordern im Luther-Jahr 2017

ein Umdenken für die globale Wirtschaftspolitik. Unter dem Motto „Gemeinsam wider die

Herrschaft der Finanzmärkte über Demokratie, Gesellschaften, Europa und die globalen

Verhältnisse. Zeit für eine neue Reformation“ haben sie 95 Thesen aufgestellt.

500 Jahre nachdem Martin Luther seine 95 Thesen veröffentlichte, wurden am 23.April die

nachfolgenden 95 Thesen vor der Wittenberger Schloßkirche vorgestellt.

1

Was zu Luthers Zeiten begann, hat heute einen neuen Höhepunkt: die Herrschaft des Geldes.

Die Demokratie ist in Gefahr. Die Politik ist an den Vorgaben der Finanzmärkte und den

Interessen des oberen, reichen einen Prozents der Bevölkerung ausgerichtet. Eine Umkehr,

eine Reformation ist nötig.

2

War es vor 500 Jahren die Käuflichkeit des Seelenheils der Gläubigen durch den

Ablasshandel, die Ausdruck einer großen Krise war, sind es heute die Käuflichkeit der Politik

und ihre Unterordnung unter die Vorgaben der Finanzmärkte.

3

Andauernde Unterentwicklung, 800 Millionen Menschen, die Hunger leiden, Millionen

Flüchtlinge und der dramatische Klimawandel haben sich verhängnisvoll verknüpft. Ihre

Kehrseite sind exorbitanter Reichtum und Luxus. Dass die EU-Kommission ausgerechnet die

Finanzmarkt-Richtlinie des Parlaments, mit der die Spekulation mit Nahrungsmitteln gestoppt

werden sollte, so verändert hat, dass sie wirkungslos wird, kann nur empören.

4

Wurden mit dem Ablasshandel die globalen Imperien von Karl V. und Papst Leo X.

finanziert, sind es heute der globale Finanzmarkt-Kapitalismus, seine Anhäufung von

Vermögensansprüchen und die Bedienung von Schulden, die aus dem globalen

Bruttosozialprodukt finanziert werden müssen.

5

Zu Recht fasst der US-Ökonom Michael Hudson zusammen, dass ein Prozent der

Bevölkerung mit ihrem Vermögen „die restlichen 99 Prozent, aber auch Unternehmen und

ganze Staaten, in permanenter Verschuldung halten“. Dies macht eine Politik der Solidarität,

der Erhaltung der Natur und des Friedens unmöglich.

6

Vor 500 Jahren entstand das System des globalen Kapitalismus. Heute muss es sein Ende

finden. Die Krise von 2008 war ein erster Warnschuss.

7

Es ist ein gesellschaftszerstörendes, naturvernichtendes und tötendes System. Papst

Franziskus bringt es auf den Punkt: „Ebenso wie das Gebot ‚Du sollst nicht töten‘ eine

deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute

ein ‚Nein zu einer Wirtschaft und der Disparität der Einkommen‘ sagen. Diese Wirtschaft

tötet.“

8

Das Finanzsystem ist außer Kontrolle. Sein Crash hat nicht nur im Finanzsektor selbst

verheerende Schäden verursacht. Es reißt auch die Realwirtschaft, Ökologie, Entwicklung des

Südens und den Frieden in den Abgrund.

9

Die Schuldenberge wachsen ungebrochen. 2015 erreichten sie global den Rekord von 152

Billionen US-Dollar. Das sind 225 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Ein Drittel

davon sind öffentliche Schulden. Solidarische Entwicklung wird dem Schuldendienst

aufgeopfert.

10

Besonders bedroht sind nicht nur die Krisenländer der Euro-Zone, sondern auch die

Entwicklungsländer. Zwischen 2009 und 2014 stieg die Ausgabe von Staatsanleihen in

Niedrigeinkommens-Ländern von 2 Milliarden auf 18. Milliarden US-Dollar.

11

Vielen Ländern des Südens drohen die Schuldenfalle und der Staatsbankrott.

12

Die Armen bezahlen die Bereicherung der Reichen. Die Krise hat die sozialen Probleme

verschärft.

13

Wachsende Ungleichheit hat mehrere Ursachen, aber die Dynamik auf den Finanzmärkten

wurde zum stärksten Antreiber sozialer Polarisierung – schon lange vor der Krise.

14

Die Privatisierung der Daseinsfürsorge – Renten und Gesundheit – bietet dem Finanzkapital

neue und höchst attraktive Verwertungsmöglichkeiten.

15

Ein Ende des Tunnels ist nicht in Sicht. Immer mehr Ökonomen warnen, dass wir in einer

dauerhaften Stagnation stecken könnten.

16

Am Anfang standen politische Entscheidungen von Regierungen. Sie haben wissentlich und

willentlich die Kontrolle über die wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen den

Finanzmärkten übergeben.

17

Der Finanzsektor wuchs in absurde Größenordnungen. Zwischen 1980 und 2007 stieg der

Devisenumsatz um das 30-Fache. Im Krisenjahr 2008 war das Volumen allein von

Kreditderivaten zehn Mal größer als das Bruttosozialprodukt (BIP) aller Staaten der Erde.

18

Die Dynamik der Finanzmärkte wurde zum Motor der imperialen kapitalistischen

Globalisierung.

19

Die Finanzmärkte entzogen sich dem regulatorischen Zugriff der Nationalstaaten. Von der

Rolle des Dienstleisters für Realwirtschaft und Gesellschaft schwangen sie sich zu deren

Herren auf.

20

Die Profitinteressen des Finanzkapitals wurden zu alternativlosen Sachzwängen verklärt.

21

Der sozial und demokratisch eingehegte Kapitalismus der Nachkriegsära wurde auf dem Altar

der Finanzmärkte geopfert.

22

Die Globalisierung der Finanzmärkte führt zur Erosion der Demokratie. „Anleger müssen sich

nicht mehr nach den Anlagemöglichkeiten richten, die ihnen ihre Regierung einräumt,

vielmehr müssen sich die Regierungen nach den Wünschen der Anleger richten“, schrieb

2000 der damalige Chef der Deutschen Bank, Rolf-Ernst Breuer, voller Stolz.

23

Das ist die marktkonforme Demokratie, wie sie leibt und lebt – schon lange bevor die

Kanzlerin sich zu ihr bekannte.

24

Es ist so über drei Jahrzehnte ein Monster herangewachsen. Manche sprechen von

Finanzialisierung, andere von Kasino. Wie immer man es bezeichnet, wir sind mit einem

neuen, einem extrem gefährlichen Typus von Finanzsystem konfrontiert.

25

Die Geschichte des Krisenmanagements war von Anfang an eine Geschichte der Halbheiten,

Sackgassen und der Wirkungslosigkeit.

26

Dabei hatte es anfangs so ausgesehen, als ob die Politik unter dem Schock der Krise etwas

verstanden hätte. Die G20-Gipfel von London und Pittsburgh 2009 schienen auf dem

richtigen Weg, als sie ankündigten, die Finanzmärkte wieder an die Kandare nehmen zu

wollen.

27

Dann retteten die Regierungen die Banken mit gigantischen Summen an Steuermitteln. Die

Reichen wurden geschützt. Eine Ab- und Umkehr wurde verhindert.

28

Als Folge davon wurde aus der Finanzmarktkrise eine Staatsschuldenkrise. Die öffentlichen

Schulden schossen in die Höhe. Es war eine Vergesellschaftung privater Verluste in

dramatischem Ausmaß.

29

Demgegenüber muss die Bevölkerung der Krisenländer Europas unter dem Diktat der Troika

den Preis in Form rücksichtsloser Austeritäts-(Spar-)Politik und mit dem demütigenden

Verlust demokratischer Selbstbestimmung bezahlen.

30

Die Demokratie wurde im Zuge des Krisenmanagements ausgehöhlt. Weitreichende

Entscheidungen wurden von der Exekutive in einem Tempo durchgepeitscht, das

Volksvertretern nicht mal Zeit ließ, die Vorlagen zu lesen.

31

Treibende Kraft hinter der zerstörerischen Austeritätspolitik ist seit Jahren die

Bundesregierung – ob in schwarz-gelbem oder schwarz-rotem Koalitionsgewand.

32

Wenn es trotzdem noch nicht zu einem großen Knall gekommen ist, dann nur aufgrund der

Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Hilfspakete des Internationalen

Währungsfonds.

33

Doch mehr als Zeit kaufen kann die EZB nicht. Je länger dies dauert, desto mehr gerät sie in

die Lage einer Feuerwehr, der das Löschwasser ausgeht.

34

Zudem haben ihre Rezepte gefährliche Nebenwirkungen. So gerät auch jener Sektor, der nicht

im Kasino gezockt hat, wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken, unter Druck.

35

Auch rächt sich jetzt die jahrelang gepredigte Privatisierung von Dienstleistungen der

Daseinsvorsorge. Unter Nullzins-Bedingungen können private Alters-, Lebens- und

Gesundheitsversicherungen nicht mehr die nötigen Mindestrenditen erwirtschaften.

36

Es ist ein Teufelskreis aus drei Komponenten entstanden: Ein instabiles Finanzsystem trifft

auf allgemeine Stagnation. Die Maßnahmen der Zentralbanken bringen wiederum die

Finanzmärkte durcheinander, was dann auf die Realwirtschaft drückt.

37

Ja, Reformen gab es.

38

Die Eigenkapitalanforderungen wurden verschärft. In den USA wurden Schritte zur Trennung

von traditionellem Geschäft und Investmentbanking unternommen. Eine Gruppe von zehn

EU-Ländern, darunter Deutschland, ist dabei, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen.

39

Kleinere Korrekturen gab es bei der Aufsicht der Banken, bei Rating-Agenturen, Hedgefonds,

Anlegerschutz und besonders riskanten Produkten, wie Kreditausfallversicherungen.

40

Inzwischen ist die Reformdynamik erlahmt. Mehr noch, in der EU setzte unter der Juncker-

Kommission ein Roll-back ein. Mit dem Projekt der Kapitalmarktunion wird wieder der

Einstieg in die Deregulierung gesucht.

41

Die Austrocknung von Off-Shore-Zentren und Steuerparadiesen ist kaum vorangekommen,

wie Luxemburg-Leaks und Panama Papers uns vor Augen führen.

42

Auch die Konzentration hat zugenommen. Die großen Banken bewegen heute noch größere

Summen als vor der Krise. Im Schattenbankensektor werden einzelne Spieler, wie der

Hedgefonds Blackrock, immer größer und mächtiger.

43

Die Reformen haben allenfalls das Kasino etwas sicherer gemacht – vor allem für die Spieler.

Aber: „Nichts außer der Schließung des großen Kasinos wird zu einer dauerhaften Lösung

führen“, wie die UNCTAD feststellt.

44

Auch die Problemlösungsfähigkeit der Politik scheint überfordert. Vielmehr nehmen

Standort-Egoismus, Nationalismus, Konkurrenzverhalten und Abschottung zu. Der

Multilateralismus steckt in der Krise, wie die Blockade der WTO zeigt.

45

Abkommen wie TTIP und TPP sind Teil geopolitischer Strategien. Ergänzt werden sie durch

geopolitisch motivierte Wirtschaftssanktionen – mit Vorliebe im Finanzsektor.

46

Der Finanzsektor, einst Avantgarde der Globalisierung, bringt auf diese Weise zunehmend

Merkmale einer selektiven Deglobalisierung hervor. Die Chancen, das Finanzsystem als

globales öffentliches Gut zu gestalten, sinken.

47

In der Europäischen Union (EU) sind die Problemlösungsdefizite noch deutlicher. Was so

schön realpolitisch und bodenständig klingt, Angela Merkels „Fahren auf Sicht“, läuft auf die

Nichtbearbeitung der Probleme hinaus.

48

Die im Vergleich zum Nationalstaat ohnehin schon komplexeren Entscheidungsprozeduren

der EU werden durch die multiplen Krisen und Zersetzungserscheinungen noch einmal um

Größenordnungen schwieriger.

49

Zu einem Befreiungsschlag scheint die EU in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht mehr

fähig. Durchwursteln ist die einzige Strategie. Solange die EZB mit ihrer Lenzpumpe aus

Nullzins und Quantitative Easing den leckgeschlagenen Kahn vor dem völligen Absaufen

bewahrt, lebt man in der Illusion, dass schon nichts passieren wird.

50

Zentraler Bestandteil für die Verteidigung von demokratischer Gestaltung der Gesellschaft

wie für eine andere Wirtschaftspolitik ist heute eine substanzielle Reform des Finanzsystems.

Ein solches Projekt wird aber nur dann nachhaltige Wirkung erzielen, wenn es die Probleme

an der Wurzel packt.

51

Stabile und funktionierende Finanzmärkte sind ein öffentliches Gut. Luther forderte vor fast

500 Jahren: „Man müsste dem Fugger und dergleichen Gesellschaft einen Zaum ins Maul

legen.“ Das hat an Geltung nichts verloren und muss erneuert werden.

52

Das Finanzsystem ist der Realwirtschaft und Gesellschaft unterzuordnen.

53

Finanzmärkte müssen für die Finanzierung des ökologischen Umbaus, einer solidarischen

Entwicklungspolitik, einer sozialen Perspektive der Europäischen Union und der sozialen

Modernisierung der Gesellschaft befähigt werden.

54

Demokratische Politik bekommt die volle Kontrolle über Märkte und Akteure.

55

Der volkswirtschaftlich unnütze Kasinobetrieb wird eingestellt.

56

Die Finanzmärkte müssen beträchtlich reduziert werden.

57

Das gesamte System muss entschleunigt werden.

58

Die Komplexität des Systems muss reduziert werden.

59

Der öffentliche Bankensektor muss gestärkt und ausgebaut werden, u. a. auch durch

Privilegierung gegenüber dem Privatsektor. Das hat Vorrang vor dem EU-Wettbewerbsrecht.

60

Statt geopolitisch motivierter Wirtschaftskriege brauchen wir eine Kultur der Kooperation

und Rücksichtnahme. Die 500-jährige Epoche, in der Europa und sein nordamerikanischer

Ableger dem Rest der Welt erklärten, wo es langgeht, ist ein für alle Mal vorbei.

61

Der Schattenbankensektor wird geschlossen. Sofern es die eine oder andere

volkswirtschaftlich nützliche Aktivität dort gibt, wird sie der regulären Bankenaufsicht

unterstellt.

62

Systemisch relevante Banken, die too big to fail sind, werden in kleinere Teile aufgespalten,

bis diese small enough to fail sind.

63

Hedgefonds, Private Equity Funds und ähnlich hochspekulative Akteurstypen werden

abgeschafft.

64

Derivate bedürfen grundsätzlich einer Unbedenklichkeitsprüfung durch die Finanzaufsicht.

Die Beweislast liegt bei den Ausgebern der Produkte.

65

Für den Zahlungsverkehr wird eine öffentlich-rechtliche Einrichtung geschaffen. Das wäre

eine Firewall für dieses zentrale Element des Finanzsystems, falls es noch zu Finanzkrisen

kommt. Im digitalen Zeitalter ist ein solches System mit geringem Aufwand möglich.

66

Off-Shore-Zentren und Steuerparadiese werden ausgetrocknet. Solange das nicht international

abgestimmt möglich ist, sind auch unilaterale Maßnahmen wie Strafsteuern möglich.

67

Der Hochgeschwindigkeitshandel wird gestoppt. An seine Stelle treten stündliche Auktionen.

Das schaltet die systemischen Risiken des Hochgeschwindigkeitshandels aus und beseitigt die

Wettbewerbsverzerrungen.

68

Die Eigenkapitalanforderungen werden erhöht und auf die Unterbindung spekulativer

Geschäftsmodelle zugeschnitten.

69

Kapitalverkehrskontrollen sind legitime Instrumente der Kapitalmarktregulierung. Ihre

Anwendung im Krisenfall hat Vorrang vor der Kapitalverkehrsfreiheit.

70

Renten, Gesundheit und andere Dienstleistungen der Daseinsvorsorge werden dem Markt

entzogen und als öffentliche Aufgabe organisiert.

71

Rating-Agenturen werden in Institute öffentlichen Rechts umgewandelt. Insbesondere muss

die prozyklische Wirkung von Ratings unterbunden werden. Soziale und ökologische

Kriterien müssen in das Rating integriert werden.

72

Die Aufsicht wird mit größeren Ressourcen ausgestattet – finanziell, personell, juristisch,

technisch.

73

Ziel ist nicht inklusives Wachstum, sondern eine soziale und ökologische Gesundung, zu der

das Schrumpfen von Finanzmärkten und Luxus gehören wie umgekehrt der Ausbau der

Infrastruktur für Bildung, Gesundheitsvorsorge, Pflege, des öffentlichen Nahverkehrs als

Grundgüter eines guten Lebens für alle.

74

„Der Schatz der Kirche sind die Armen“, zitiert Luther in seinen Thesen den heiligen

Laurentius. So sind der Schatz einer guten Gesellschaft heute das Leben der Bedürftigsten

und ihre soziale und politische Teilhabe.

75

Eine gerechte Politik misst sich daran, dass sie darauf hinwirkt, jeder und jedem, auch den

sozial Schwächsten unter uns, den Zugang zu den Gütern eines freien Lebens zu sichern.

76

Nach Jahrzehnten muss die Umverteilung von unten nach oben, von Produktion und Natur zu

Finanzmärkten, von Frauen zu Männern, von Süd nach Nord umgekehrt werden.

77

Die umfassende Privatisierung gesellschaftlichen Reichtums muss einer Vergesellschaftung

weichen zugunsten von Investitionen in sozialen Zusammenhalt, die Grundversicherung der

Ärmsten sowie den ökologischen Umbau.

78

Nach wie vor steht in Deutschland eine gerechte, sozial und wirtschaftlich produktive

Erbschafts- und Vermögenssteuer aus.

79

Gefördert werden müssen eine solidarische Wirtschaft und ein solidarisches Leben auf der

Basis von projektbezogenen Grundeinkommensformen und solidarischer Finanzierung.

80

Wenn wir wollen, dass Menschen nicht mehr flüchten müssen, dann geht das nur über den

Abbau von Fluchtursachen, über die Überwindung von Kriegen, von Elend, Armut und

ökologischem Niedergang. Das schließt den Widerstand gegen Antisemitismus, jeden

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein.

81

Die Durchsetzung des Verbots von Rüstungsexporten in Krisenregionen und an Diktaturen

sowie globale Abrüstung tragen nicht nur zu mehr Sicherheit bei, sondern werden selbst

finanzielle und politische Mittel gerade auch für die Menschen im Süden freisetzen.

82

Notwendig ist ein globaler Marshallplan mit entwicklungsfreundlichen Veränderungen der

weltwirtschaftlichen Strukturen zugunsten eines fairen Handels, von Investitionen in die

Armutsbekämpfung und des ökologischen Umbaus bei uns und im Süden.

83

Die von Deutschland durchgepeitschte Austeritätspolitik in der EU muss beendet werden.

84

Stattdessen benötigt die EU eine umfassende Investitionsinitiative für den Übergang zu

regenerativen Energien, nachhaltigen inklusiven Systemen der Wohnungswirtschaft, des

Verkehrs, der Bildung und Kultur, Gesundheit und Pflege.

85

Der deutsche Exportüberschuss, der für viele andere europäische Staaten und die europäische

Integration zerstörerisch ist, kann durch stärkere Binneninvestitionen umgelenkt und mit

einem solidarischen Ausgleich in der EU verbunden werden.

86

Schon lange hatten Kritiker darauf hingewiesen, dass die ökonomischen und sozialen

Verwerfungen in politische Katastrophen münden können, so Alain Badious vor einem

„demokratischen Faschismus“. Bereits die Weltwirtschaftskrise 1929 war eine der Ursachen

für den Aufstieg des Faschismus.

87

Ein erbarmungsloser Sozialdarwinismus, der als Sachzwang der finanzmarktgetriebenen

Globalisierung daherkam, hat viele Verlierer produziert und Angst vor dem Abstieg erzeugt.

Die Wirkung der Austeritätspolitik kam dann noch einmal obendrauf.

88

Abgehängt, entwürdigt, erbittert und wütend, wendet auch ein Teil dieser Verlierer sich jetzt

einer Rechten zu, die ihnen Sicherheit, Respekt und Teilhabe verspricht. Dabei erliegen sie

der Illusion, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit könnten ihre Probleme lösen.

89

Der weitere Aufstieg der populistischen Rechten kann nur durch eine andere Wirtschafts-,

Sozial- und Friedenspolitik gestoppt werden.

90

So wie Luther die Gläubigen in seinen Thesen 94 und 95 ermutigte, so benötigen die

Menschen in Deutschland, in Europa und der Welt eine realistische Zuversicht, dass die

geballten und schwierigen Herausforderungen für ihre soziale Situation sowie durch Kriege,

Not und Klimawandel gelöst werden können.

91

Ohne Hoffnung, so Salomon, werden die Menschen wüst und wild. Menschen, die lediglich

auf Lösungen von oben oder außen warten, werden sie jedoch nicht bekommen.

92

Dort werden sie nur die Vorherrschaft der Finanzmärkte und ihrer Interessen vorfinden.

93

Es geht um nicht weniger als um die Vormacht von Demokratie und Menschenrechten, die

Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen durch solidarisches Handeln auch gegen die

Finanzmärkte.

94

Doch anders als selbstbewusst und selbstverantwortlich wird eine solche Reformation der

Gesellschaft von den Menschen nicht erreicht werden.

95

Nur durch den Druck aus der Gesellschaft und bürgerschaftliches Engagement wird es

möglich sein, die Reformblockade im politischen und gesellschaftlichen System zu

überwinden.